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17.04.2008 09:18 Uhr

Die „Med.-Abteilung“ des F.C. Hansa: Spitze in der Bundesliga!

Dr. Frank Bartel erinnert sich noch genau: Als er vor 18 Jahren als junger Mannschaftsarzt zum F.C. Hansa ins damalige Ostseestadion kam, bestand die medizinische Abteilung in Rostock aus ihm und dem legendären Physiotherapeuten Günther Blum in einem kleinen verwinkelten Raum mit Massagebecken.

Wer heute in die Katakomben der DKB-Arena kommt, der findet unterhalb der Haupttribüne im Kabinentrakt eine Physiotherapie für die Profis vor, die zwei Drittel der gesamten „Wohnung“ der Spieler einnimmt und nur zehn Meter von der Seitenlinie des Spielfeldes entfernt ist. Große Glasfenster gestatten von hier den freien Blick zum Anstoßpunkt.
Mittlerweile ist die medizinische Abteilung des Vereins gewachsen. Vier Ärzte, drei Physiotherapeuten für die Profis, drei Physiotherapeuten für die Nachwuchs-Akademie.
Wir sind mit Frank Scheller und Peter Meier in der Physiotherapie verabredet. Scheller arbeitet hier seit 16 Jahren, Meier ist seit elf Jahren im Dienst.


Als einst das alte Ostseestadion umgebaut wurde, konsultierten sich die damaligen Geschäftsführer des Vereins Dr. Helmut Hergesell und der heutige Marketing-Vorstand Ralf Gawlack mit den „Physios“. Als die Architekten der Firma Beyer schließlich mit dem Umbau begannen, reichten Scheller und Meier einige DIN A 4 große „Spickzettel“ ein. Daraus wurde eine der modernsten Physiotherapien der Bundesliga. Nur einige Großklubs können da mithalten, versichert Hansa-Kapitän Stefan Beinlich. Schalke 04 beispielsweise oder auch Bayern München. Worauf Dr. Bartel, Scheller und Meier besonders stolz sind:  Seit Jahren hat der F.C. Hansa die wenigsten Verletzten.

Während im Kraftraum Sebastian Hähnge und Dexter Langen Gewichte stemmen und Pedalen treten, Simon Tüting sich behandeln lässt und Benjamin Lense Moor-Packungen kriegt, reden wir mit Frank Scheller und Peter Meier.
Scheller ist gebürtiger Rostocker, war einst Judoka (1979 bis 1985), gehörte der DDR-Junioren-Nationalmannschaft (2. Dan) beim ASK Frankfurt an, wollte eigentlich nach drei Jahren Armee Lehrer für Sport und Geschichte werden, musste aber wegen eines Kreuzbandrisses auf Physiotherapeut umschulen. Er hat es nie bereut, stieg mit Hansa dreimal in die Bundesliga auf. „Das Arbeiten mit jungen Leuten im Hochleistungssport ist in jedem Fall erfrischender als die monotone Arbeit in der Praxis.“

Peter Meier sagt: „Ich wollte schon mal vor meinem Job bei Union aufhören. Aber da fing ich Sonntag früh an, das Auto zu waschen. Das war nix. Ich brauche den Sport, den Fußball, den Wettbewerb, das Spiel, die Hektik, das Kribbeln, die Jungs. Mit vielen ist man ja schon eng befreundet. Eigentlich sind wir hier eine große Familie, wo jeder jeden sehr gut kennt.“
Meier ist Münchner, gelernter Koch, machte dann eine Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister und anschließend zum Krankengymnasten.
Vor der Wende arbeitete er als Praktikant im Krankenhaus Neukölln in Berlin, für Tasmania Berlin und Blau-Weiß 90, wo er u.a. auch den späteren Weltmeister „Kalle“ Riedle bzw. den späteren belgischen Nationaltrainer Rene van der Eyken betreute. Nach der Wende massierte Peter Meier vier Jahre an der Alten Försterei für den 1. FC Union, erst durch einen Tipp von Fußball-Lehrer Horst Ehrmanntraut an der Seite von Frank Pagelsdorf, dann bei Hans Meyer. Schließlich holte ihn „Pagel“ an die Küste.

Seither arbeiten Scheller und Meier in ihrem Job wie ein sich blind verstehendes „Pärchen“, allein Geburtstage feiert man in Familie allein.
Peter Meier: „Für die Spieler gibt es einen guten und einen bösen. Ich kriege den Mund nicht zu und Frank nicht auf…Aber wir arbeiten vom ersten Tag an gleichberechtigt.“
Als Peter Meier in den Norden kam, war er durch die Arbeit bei Union auch in Rostock auf einiges gefasst. Aber dass alles so spartanisch in einem Medizinraum war, überraschte ihn dann doch. Aber immerhin verstand er sich mit dem Kollegen auf Anhieb – bis heute.
Abwechselnd machen sie heute auch die Arbeit am Platz und in der Kabine. Ein Heim- und ein Auswärtsspiel ist Scheller draußen am Rasen, dann macht Meier die Vorbereitung der Dopingkontrollen. Danach ist es umgekehrt.

Frank Scheller und Peter Meier sind in jedem Fall die Erstversorger in den 90 Minuten. Achten Sie mal auf ihre Handbewegungen auf dem Rasen im Spiel: Ist ein Spieler verletzt, der Daumen eines „Physios“ geht aber hoch, ist alles nicht so schlimm. Geht der Daumen runter, weiß Cheftrainer Pagelsdorf, er muss wechseln…
Wer glaubt, der Job beschränkt sich - wie einst - auf das Massieren der wertvollen Fußballerwaden, der ist falsch gewickelt.
Diese Abteilung ist das wichtigste Bindeglied zwischen Cheftrainer und Medizin.
Den Spagat erklärt Meier so: „Was wir vom Trainer hören, muss intern bleiben, was wir von den Spielern erfahren, darf auch nicht zum Fußball-Lehrer rüberkommen.“ Loyalität und Verschwiegenheit sind oberste Arbeitsprinzipien.
Die Jungs sind oft nicht nur behandelnde Therapeuten, sondern auch Seelentröster und Kummerkasten. Das gilt vor allem für die jungen Spieler und die sensiblen Reservisten.
Hier in der Physiotherapie, die bis zu 12 Stunden am Tag offen ist, laufen überhaupt die wichtigsten Dinge zusammen.

Hier müssen die Spieler die Einnahme ihrer Medikamente mit den Physiotherapeuten bzw. Doktoren besprechen. Beispiele: Ein Haarwaschmittel wie Alpecin dürfen die Profis so nicht nehmen. Das steht auf der Dopingliste. Aspirin können sie nehmen. Aber nicht Wick MediNait. Auch das steht auf der Dopingliste.
Einmal im Jahr ist für die Spieler eine medizinische Grunduntersuchung von der DFL gefordert, die von Hansas Mannschaftsärzten durchgeführt wird.
Einmal im halben Jahr müssen die Spieler einen Zahnarztbesuch nachweisen. Außerdem müssen sie unaufgefordert einen Nachweis über ihre Fußpflege abgeben. Die Fußpflegerin kommt auf das Trainingsgelände…

Täglich ist mindestens ein Physiotherapeut zum Training am Platz.
Der einstige Koch Peter Meier kümmert sich auf Reisen auch um die kulinarische Versorgung. Er bestellt das Essen. Da gibt es viele Kohlehydrate, frisches Obst. Gern wird auch Fisch und Geflügel serviert. Deftiges oder Schweinefleisch kommt dagegen kaum auf den Tisch.
Mit dem leitenden Mannschaftsarzt Dr. Frank Bartel, Dr. Holger Strubelt - gleichzeitig Medizin-Chef der Amateurabteilung  - sowie Dr. Ulrich Adam (Chefarzt am Humboldt-Krankenhaus Berlin) hat Hansa heute drei Chirurgen. Seit zwei Jahren konsultiert Hansa außerdem den Osteopathen Dr. Roland Bordel aus Rostock-Toitenwinkel.
Vor zwei Jahren kam zum Duo Scheller/Meier mit dem Thüringer Physiotherapeuten Steffen Rische ein dritter „Kneter“, wie die Jungs aus der medizinischen Abteilung auch gern genannt werden, dazu. Er kam 2001 zu Hansa, ist seit 2006 bei den Profis. Der einstige Seefahrer Rische, der vier Jahre als Maschinist Vollmatrose der Handelsflotte war, kam ursprünglich aus der Amateur-Abteilung und hat sich der Osteopathie verschrieben. Dafür hat er nach seinem Berufswechsel fünf Jahre malocht. Mit Thomas Marquardt (HSV), Ralf Frank (Dortmund, Stuttgart, München) und Thomas Sennewald (Hertha) hat Rische enge Mitstreiter und Konsultanten in anderen Bundesliga-Vereinen, deren Wissen auch irgendwie in den F.C. Hansa einfließt. Rische über seine Arbeit: „Osteopathie ist eine Art, mit den Händen zu sehen. Eine Arbeit des Fühlens und eine Arbeit ohne Medikamente. Wir betrachten den Patienten als komplette Einheit.“

Peter Meier betont, dass er diese Ergänzung ausdrücklich positiv empfindet.
Steffen Rische selbst jobbt wiederum in enger Zusammenarbeit mit Dr. Holger Strubelt auch sehr viel in der Nachwuchs-Akademie. Früher betreute er mit ihm die Amateurmannschaft. Seit kurzem leitet er die drei Kollegen Marcel Tiedemann (Amateure), Sven Stoll (A-Junioren) und Christin Pöschel (B-Junioren) an.
Hier wiederum schließt sich der Kreis zur medizinischen Arbeit im alten Ostseestadion vor Jahren. Das einzige weibliche Wesen in der medizinischen Abteilung ist nämlich die Enkeltochter der einstigen Empor-Legende „Karli“ Pöschel und Schwester der Freundin von Ex-Hanseat Marcel Schied (jetzt Jena).

Seither ist freilich auch viel Blut in Hansa-Trikots geflossen. So erinnert sich Peter Meier an den schlimmen Tag von Paderborn in der 2. Liga. Kai Bülow und Tim Sebastian waren damals heftig zusammengeprallt. Bülow war bewusstlos, im Kopf von Sebastian steckten Zähne von Kai, Blut überall. Zwei Schwerverletzte in einer Sekunde und viel, viel Arbeit…
Aber da war auch das legendäre Abstiegsspiel in Bochum 1999 und das fast abgerissene Ohr von Oliver Neuville, das in der Halbzeitpause genäht wurde. Aber das blieb Peter Meier nicht allein in Erinnerung: „Für Frank Scheller und mich war dies wohl die bis heute aufregendste Partie unserer Karriere. Es war ein richtiges Herzschlagspiel.“
Das schönste Spiel ist für die beiden „Physios“ jedoch immer noch ein Spieltag ganz ohne Arbeit. „Mit einer guten Prophylaxe und der intensiven Absprache mit den Trainern können wir schon im Vorfeld von Training und Spiel einiges dafür tun, um Verletzungen vorzubeugen. Gegen Wettkampfverletzungen sind auch wir machtlos. Trotzdem: Im letzten Jahrzehnt gehörten wir zu den Vereinen, deren Spieler am wenigsten mit muskulären Problemen zu tun hatten. Das ist eigentlich der schönste Lohn für unsere Mühen...“