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14.09.2007 09:02 Uhr

Thorsten Haas, Chefscout des F.C. Hansa Rostock im Interview

Wir dürfen uns keine Fehler leisten!
Ein Montagmorgen in diesen Tagen. Im Büro von Thorsten Haas stapeln sich Ordner, DVDs, Plastiktüten mit Info-Material und Visitenkarten. Zwischen Telefon und Recorder sitzt der Chefscout der Hanseaten in seinem Büro in der DKB-Arena. Über die Tage hat sich in seiner Abwesenheit viel Material angestaut. Arbeit für Tage, Wochen, Monate. Jetzt macht sich Thorsten Haas, gebürtiger Schleswiger, ans Sichten, Lesen, Schauen, Analysieren und Telefonieren. Wir sitzen im Zimmer des Chefscouts. Es ist gewissermaßen die „geheime Kommando-Zentrale“ des Vereins. Thorsten Haas ist die rechte Hand von Trainer Frank Pagelsdorf und die linke von Lizenzchef Herbert Maronn. Thorsten beobachtet Spiele und Spieler für Hansa und leitet seine Analysen dann an Trainer und Manager weiter. Haas, ledig, zwei Kinder, ist Norddeutscher wie Frank Pagelsdorf. Thorsten und Frank kennen sich aus gemeinsamen Zeiten beim VfL Osnabrück und aus Dubai, wo sie den arabischen Klub Al Nasr trainierten. Seither kennt und schätzt man sich. Während Frank Pagelsdorf vor zwei Jahren in Rostock anheuerte, kümmerte sich Thorsten Haas erst einmal um seine Fußball-Schule in Osnabrück. Am 1. August erhielt der 40-jährige Diplom-Pädagoge dann beim F.C. Hansa einen Vertrag bis zum 30.06.2009. Neben der Spielbeobachtung und -analyse wird Thorsten Haas bei ausgewählten Trainingseinheiten auch auf dem Platz mitarbeiten.

 

Herr Haas, Frank Pagelsdorf ist bekannt dafür, dass er gerne Menschen um sich hat, die er kennt, denen er vertraut. Wann und wo haben Sie sein Vertrauen gewinnen können?

Thorsten Haas: Als der VfL Osnabrück vor vier Jahren in die 2. Bundesliga aufstieg, verabschiedete sich unser damaliger Trainer Jürgen Gelsdorf  von der Mannschaft überraschend auf der Aufstiegsfeier. Damals überlegten wir, wer könnte sein Nachfolger werden. Ich kannte Frank als erfolgreichen Trainer von Hansa und vom HSV, aus dem Fernsehen und von den Trainerratssitzungen. Seine Fußball-Philosophie gefiel mir schon früher und deckte sich mit meinen Vorstellungen. Ich warf den Namen damals in die Debatte. Aber man sagte mir, den kriegen wir nie nach Osnabrück. Das war ein Irrtum. Frank kam und ich wurde sein Co-Trainer.

 

Wie war die erste Begegnung?

Thorsten Haas: Wie das immer so an einem ersten Tag ist. Man beschnuppert sich gewissermaßen. Es war distanziert, aber intensiv. Wir ergänzten uns gut. Ich kannte den Verein, Frank brachte sein Wissen als erfahrener Trainer ein. Schnell merkten wir, dass wir tatsächlich in unserer Fußball-Philosophie auf einer Wellenlänge lagen. Wir ergänzten uns. Wir funktionierten als Team und gingen nach dem Abstieg des VfL gemeinsam nach Dubai, wo der einstige Cottbuser Trainer Hagen Reeck mit im Trainerstab war. Wir gingen beide allein, ohne unsere Familien. Wir wohnten dort gemeinsam in einem Haus und das intensivierte unsere Dialoge natürlich noch. Wir leben beide praktisch für den Fußball, Tag und Nacht.

 

Was schätzen Sie an Frank?

Thorsten Haas: Seine Souveränität, sein Wissen, seinen Fleiß, seine Toleranz, seine Späße und den Hang, positiv zu denken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber vor allem schätze ich seine Ruhe in der größten Hektik. Frank ist auch sehr akribisch, geht sehr intensiv auf taktische Dinge mit den Spielern ein.

 

Haben Sie in den letzten zwei Jahren auch schon für Frank Pagelsdorf gesichtet?

Thorsten Haas: Ja, ich gehörte wie Gerd Kleimaker, der bei Frank in Hamburg Konditionstrainer war, zu seinen Spielbeobachtern.

 

Was haben Sie bei Hansa in Ihrem neuen Job vorgefunden?

Thorsten Haas: Eine Menge DVDs und viel interessantes Material. Der Verein hatte ja mit dem ehemaligen Hansa-Spieler und Trainer Jürgen Heinsch schon einen Scout vor mir. Manager Herbert Maronn und die jeweiligen Trainer profitierten schon von ihm. Ich werde das alles aktualisieren, ausbauen. Natürlich erfinden wir das Rad nicht neu. Trainer und Manager haben ihre Kontaktleute, ich denke da an die Drähte nach Schweden und Dänemark. In meinem Büro liegen fünf Aktenordner, in denen wir Spieler nach unseren Vorstellungen und nach aktuellen Ereignissen gelistet haben. Zu jedem Spieler haben wir Daten über sportliche und Persönlichkeitsentwicklungen sowie DVDs, an Hand derer wir uns ein Bild über die Spieler machen können. Persönlich führe ich außerdem noch in meinem Laptop „Buch“. Dazu googelt man auch viel, um Daten und Fakten von Anbietern zu kontrollieren.

 

Wie verliefen die ersten Wochen?

Thorsten Haas:  Ich bin praktisch gleich durchgestartet. Wir mussten unsere Bundesliga-Gegner beobachten, Spiele sehen, Spieler suchen, die Planung anschieben. Ich bin die ersten Wochen schon zum Dauer-Autofahrer avanciert. Allein mit dem Auto habe ich in den ersten 24 Tagen ca. 10.000 km zurückgelegt.

 

Wie sieht eine Woche von Ihnen jetzt aus?

Thorsten Haas: Montags schreibe ich die Analysen von den drei Spielen, die ich am Wochenende gesehen habe. Dienstag und Mittwoch arbeitete ich die Büroarbeit auf, schaue Videos, kontaktiere unsere Beobachter und stelle Nachforschungen zu Informationen von Trainer und Manager an. Dienstags oder mittwochs trifft sich die Scouting-Abteilung, um Arbeitsvorgänge zu besprechen. Da werden auch die Wochenend-Spiele eingeteilt. Fakt ist, jede Bundesliga-Mannschaft wird vor einem Spieltag  beobachtet. Sicherlich gibt es heute in der Bundesliga keine Geheimnisse mehr. Auch Frank Pagelsdorf kennt diese Liga wie seine Westentasche. Aber die Detail-Arbeit, die Nuancen sind manchmal entscheidend. Oft sind es am Saisonanfang auch die neuen Spieler der Konkurrenz, die wir unter die Lupe nehmen, ihre Stärken oder Schwächen analysieren. Freitag, Sonnabend und Sonntag versuche ich dann, mit den Kollegen so viele Spiele wie möglich zu sehen. Mein Pech ist dabei, unsere eigene Mannschaft in der Regel gar nicht sehen zu können, jedenfalls nicht im Stadion.

 

Und nach welchen Kriterien bewerten Sie Spieler und Spiele?

Thorsten Haas: Für jede Position haben wir ein Anforderungsprofil. Da gibt es zwischen sechs und zwölf Punkte. Danach bewerten wir dann die Spieler. Bei den gesichteten Spielern ist es wie bei einem Trichter, die besten Spieler kommen unten raus. Bei den Spielen sind wir dann ebenfalls sehr detailliert. Eine Analyse für Frank Pagelsdorf umfasst mehrere Seiten.

 

Arbeiten Sie auch nach innen?

Thorsten Haas: Als ich bei Frank Pagelsdorf anfing, habe ich auch Persönlichkeitsstrukturen unserer Spieler analysiert, um auch auf diesem Gebiet Reserven zu erschließen.

 

Ist die Scouting-Abteilung des F.C. Hansa eigentlich mit der anderer Bundesligisten zu vergleichen?

Thorsten Haas: Viele meiner Kollegen wie Michael Schröder beim HSV und Bernd Dremmler bei Bayern München haben bis zu sechs hauptamtliche Scouts und bis zu 20 Honorarkräfte. Bayer Leverkusen hat seit fast 20 Jahren allein zwei Scouts in Brasilien. Aber man muss immer sehen, was machbar ist. Wir dürfen uns keine Fehler leisten und brauchen auch keine unbezahlbaren Leute zu beobachten. Wir müssen Talente dann erkennen, wenn sie die Öffentlichkeit noch nicht entdeckt hat. Ich denke, dass wir bei Hansa auf dem richtigen Weg sind, auch in diesem Bereich Schritt für Schritt weiter zu kommen.

 

Bleibt bei Ihrem Job denn eigentlich noch Zeit für die Familie?

Thorsten Haas: Meine Frau arbeitet als Grafikerin. Sie steht hinter meinem Job. Und die Zeit, die ohne Fußball bleibt, die nutzen wir zu viert sehr intensiv.

 

Wie geht es mit Ihrer Fußballschule jetzt weiter?

Thorsten Haas: Die führen Kollegen in Osnabrück weiter, da ich ja sofort nach Warnemünde gezogen bin und demnächst mit der gesamten Familie meinen Lebensmittelpunkt hier haben werde. Die Kids der Fußball-Akademie Osnabrück werden weiter von einem professionellen Trainer-Team betreut. Die gesammelten Erfahrungen im Profi-Geschäft, die große Freude am Fußball und die Verbundenheit zur Osnabrücker Region haben die Mitglieder des Trainerstabs alle gemeinsam.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

VITA: Thorsten Haas

Geburtsjahr: 31.12. 1966

Qualifikation:
Diplom-Pädagoge, A-Lizenz-Trainer

Vereine als Spieler: TSV Böglund, Schleswig 06
bisherige Vereine als Trainer: Al Nasr (Dubai), VfL Osnabrück (2007 für sieben Spiele Cheftrainer), KSV Holstein Kiel