23.10.2021 08:00 Uhr
Gerd Kische, WM-Teilnehmer 1974 und Olympiasieger 1976 für die DDR, wird heute 70. Herzlichen Glückwunsch für einen Fußballer mit Ecken und Kanten. Rundgeschliffen im Alter? Eine Reminiszenz mit ihm.
Den jungen Teterower Fußballer bei der BSG Post Neubrandenburg hatten die Auswahlverantwortlichen der DDR längst auf dem Schirm. Sein Einsatz beim UEFA-Juniorenturnier 1970 in Schottland, das die DDR per Losentscheid gewann, hievte Gerd Kische ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit.
Ich kam danach quasi als Dorflümmel zum F.C. Hansa und musste mich durchsetzen im Stahlbad Oberliga. Das klingt martialisch. Um die Plätze in der Mannschaft wurde nicht nur mit Haken und Ösen gekämpft. Das ist heute so, das war immer so!
DDR-Athletiktrainer Paul Dern glaubte, seine Stoppuhr wäre kaputt. Eben rauschte ein stämmiger Bursche an ihm vorbei und der hatte die hundert Meter unter elf Sekunden abgerissen. Kische verband Athletik mit Tempo. Einmalig im DDR-Fußball. Auswahlcoach Georg Buschner hatte im Juli 1970 mit Konrad Weise in der Nationalmannschaft einen Jungspund eingesetzt, der da noch ohne Oberligaspiel daherkam. Überbordender Ehrgeiz war Weises Faustpfand in 86 Länderspielen als Abwehrspieler mit mindestens internationaler Klasse. „Da ist noch ein Verrückter!“, wurde von verschiedenen Seiten Gerd Kische dem „Schorsch“ Buschner empfohlen.
Verrückt? Ja, ich war genau so ehrgeizig wie „Conny“. Buschner nahm mich mit ins Trainingslager vor der Mexiko-Reise 1971 und entschied kurz vor dem Flug: Pack deine Sachen, du kommst mit. Ich war alles: stolz, aufgeregt.
In der Gluthitze Guadalajaras debütierte Kische im August 1971 beim 1:0 gegen Mexiko. Beim anschließenden Spiel gegen den FC Leon (1:1) uferte das Scharmützel zwischen einem mexikanischen Giftzwerg und dem bereits siedenden Kische aus: Dessen Faustschlag ahndete der Schiedsrichter mit Feldverweis. Auswahltrainer Buschner rügte zwar die Kopflosigkeit seines Spielers, anerkannte unterschwellig aber: Da setzte sich einer zur Wehr!
Buschner hielt immer zu mir, selbst als ich mit Hansa in der DDR-Liga spielte. Normalerweise wäre dieser Fakt das Ende meiner Auswahllaufbahn gewesen. Die SED-Funktionäre wollten es so. Doch Buschner sagte: ‚Halt die Füße still, ich mach das schon!‘ Und er machte ja. Wir wurden Olympiasieger 1976. Ich halte heute immer noch diese Mannschaft besser aufgestellt als die 74-er WM-Truppe. Sie war athletischer, laufstärker. Riediger, Löwe, Schade, Häfner als Regisseur – es passte ganz einfach!
Buschners Festhalten an Kische in 63 Länderspielen war keine Nibelungentreue. Es gab im DDR-Fußball schlichtweg keinen Besseren, der sich an der weltweiten Außenstürmer-Elite mit Erfolg messen konnte. Wer nur auf Tempo setzte stand bei Kische auf verlorenem Posten. Polens Klassestürmer Lato soll dereinst seinen Einsatz in der Auswahl gegen die DDR (1981 etwa) nur bei Kisches Abwesenheit in Aussicht gestellt haben.
Die Story kenn ich auch. Aber im Grunde war es ja so, dass ich mich gegen die Sprinter in meinem Element befand. Mein unangenehmster Gegenspieler? Jürgen Escher von Wismut Aue. Den kleinen quirligen Spieler bekam ich einfach nicht in den Griff.
Auswahlspieler mit enormem Bekanntheitsgrad. Ein Typ mit unverfälschter ehrlich klarer Aussage. Oft gegen den politischen Strich gebürstet. Unbekümmert? Das auch! Auf jeden Fall anfällig für Neider und Intriganten, die dem in dieser Hinsicht Arglosen die Fallstricke legten. Nach privaten Eskapaden wurde Kisches Laufbahn rigoros beendet.
Jawohl, das kam für mich überraschend. Kurz vor Ende der Saison 1980/81 wurde mir mitgeteilt, dass meine Laufbahn bei Hansa zu Ende sei. In der Auswahl war sie es schon vorher. Meine Rückdelegierung zu Post Neubrandenburg oder später die Spielberechtigung für die TSG Bau Rostock waren nur Irrlichter: Ich sollte kaltgestellt werden.
Kisches Auswahlende läutete auch das Ende der Ära Georg Buschners als Auswahltrainer ein. Er musste seit einer Länderspielreise im Januar 1981 nach Argentinien auf drei gesperrte Dresdener Spieler (Kotte, Müller, Weber), dazu und fortan auch auf Kische verzichten. In den WM-Qualifikations-Spielen (1981) gegen Polen erlebte die DDR-Auswahl ihr Waterloo: Im Frühjahr 1981 verlor sie mit dem Stürmer (!) Riediger als Gegenpol zu Lato in Chorzow mit 0:1 durch einen Kopfball des „Gartenzwergs“ Buncol (1.65 Meter). Im Oktober 1981 beim 2:3 hatten bereits nach fünf Minuten Polens gewitzte Stürmer mit dem frühen 2:0 alle Messen gesungen. Mit Kische wäre das nicht passiert!
Im Grunde war das Ende dieser Qualifikation vorauszusehen und natürlich hat Buschner mit dem Einsatz des Stürmers Riediger als Verteidiger auch eine Botschaft versandt…Er dachte anders und sollte weg.
Der Olympiasieger 1976 eine persona non grata? Absurd, abstrakt, Anfang der 1980er-Jahre? Kische ward nicht gern gesehen. Überall schlug ihm Argwohn, Misstrauen entgegen. Selbst der F.C. Hansa, dem er jahrelang diente und kraft seiner Erfolge zur internationalen Reputation verhalf, ließ den einstigen Auswahlkämpen links liegen.
Das ist lange her und nun nicht mehr mein Thema. Ich habe ja in den Wendezeiten beim Klub viele Funktionen wahrgenommen. Als Manager und Präsident.
Hansas erste und einzige Oberliga-Meisterschaft 1991 und die erstmalige Teilnahme an einer Bundesliga-Saison befeuerte ein fehlgeleitetes Balzverhalten zweier Egomanen: Hier Kische, dort Trainer Uwe Reinders. Ihr offen zur Schau getragenes Zerwürfnis habe den postwendenden Abstieg in die Zweite Liga beschleunigt, verfestigte sich in der öffentlichen Meinung.
Natürlich hatte ich immer eine eigene Meinung. Die kam an oder nicht. Und heutzutage sage ich genauso: Wer aus dem Rathaus kommt…
Noch heute ist Kische ein Kritiker des Vereins. Warum auch nicht? Seine Einlassung zur aktuellen Situation?
Ich kann ja nicht nur meckern. Der Aufstieg? Endlich! Auch glücklich. Der Vorstand um Robert Marien macht administrativ einen guten Job. Zieht die Mannschaft nach ist der Club auf einem guten Weg!