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08.08.2022 08:00 Uhr

Immer Bewegung im Ruhestand

Heute wird Rainer Jarohs 65. „Ein genialer Techniker, der zu DDR-Zeiten kaum seinesgleichen fand. Ein Zauberer am Ball mit unvergleichlichem Torinstinkt“, adelt ihn sein einstiger Klubkamerad Norbert Littmann. Und Bernd Wunderlich ergänzt: „Er ist einer der ganz Großen des F.C. Hansa Rostock!“

F.C. Hansa Rostock

Ruhestand, erster Teil. Der 12. August 1989 ist ein Termin für Rainer Jarohs. Der 32-Jährige, der in einer sensationellen Hansa-Saison 1988/89 mit Platz 4 und der ersten EC-Teilnahme seit exakt 20 Jahren eher nur eine Statistenrolle ausfüllt, will seine Karriere beenden. Doch statt Sentiment und Blumen stehen für den Stürmer Trikot und Fußballschuhe bereit. Im Spiel gegen Stahl Brandenburg fintiert, trickst und schießt Jarohs wie immer. Aber wieso? Das fragt auch Rundfunkreporter Hubert Knobloch und Jarohs, schon ganz der Medienprofi, bemüht im Argus der politischen Diaspora die Allgemeinplätze: kleiner Kader, nicht optimale Vorbereitung, der Trainer bat nochmal…

Die Wahrheit ist freilich eine andere. Im Sommer 1989 bleibt bei einem IFC-Spiel in Kopenhagen der Pfiffikus Axel Kruse gleich in der dänischen Hauptstadt und Hansa hat ein Problem, nämlich nur noch drei Stürmer (Fuchs, Röhrich, Weichert) im Kader. Was nun? Jarohs vom Altenteil zurück? Niemals, legt sich Trainer Werner Voigt fest. „Doch“, hält Hansa-Präses Pischke letztinstanzlich dagegen. Der Rest ist Folklore: Jarohs (der innere Vorbeimarsch an Genugtuung sei ihm unterstellt) spielt eine formidable Saison, wird mit 8 Toren einmal mehr bester Hansa-Schütze und verabschiedet sich zum Schluss mit einem exzellenten Freistoßtreffer beim 4:1 gegen Erfurt.

Ruhestand, zweiter Teil. „Wer viel läuft, der steht schlecht“ – ist ein Jarohs-Bonmot, von Hansas Rekordspieler Juri Schlünz verkündet. Der Satz impliziert Laufbereitschaft nahe dem Ruhestand. Natürlich war dem nicht so. „Aber ich bin dankbar dafür, dass meine Mitspieler die Kilometer gelaufen sind, die ich schließlich nicht laufen musste“, sagt Rainer Jarohs. In einem Ensemblespiel williger Sekundanten (und das Gros um die Littmann, Mischinger, Schulz und Schlünz war Anfang der 1980er-Jahre auswahlreif!) wurde als zentrale Figur Jarohs gesucht, „der mit seiner unorthodoxen Spielweise nicht nur seine Gegner, sondern so manches Mal auch uns Mitspieler überraschte“, verrät Axel Schulz. „Als Mittelstürmer zog er eine Show ab“, fiepte einst der Ex-Nationalspieler und Sportjournalist Rainer „Amsel“ Nachtigall. Große Partien des dreimaligen Auswahlspielers (Debüt 1982 beim 1:0 gegen Italien) waren förmlich Legion. Seine beste? „Sicher im Frühjahr 1979 beim 5:5 in Leipzig gegen Lok. Mir gelang alles“, erinnert sich Jarohs. In der Tat: Zwei Tore erzielt, an den anderen beteiligt – nicht nur die einstigen Auswahl-Heroen Jürgen „Kuppe“ Nöldner (Sportjournalist) und Jürgen „Dackel“ Heinsch sahen eine alles überragende Leistung des Stürmers. „Heinsch war mein Lieblingstrainer“, verrät Rainer Jarohs, der sich in seiner Karriere wie in einem Paternoster wähnte: Fußball, der nach Grasnarbe schmeckte und nach Medizinschrank roch. Drei Ab- und drei Aufstiege, die Pokalfinalteilnahme 1987. Als er 1990 die Töppen an die Nägel hängt hatte er der Beletage der Oberliga und den Kanthölzern der Liga längst die Visitenkarte gereicht: 76 Tore im Oberhaus, 90 in der DDR-Liga, 19 im Pokal – in der Summe 185. „Mit dieser Quote in 403 Pflichtspielen gehört Rainer zu den herausragenden Spielern unseres Vereins“, erklärt Axel Schulz. Die Trefferbilanz hievt das „Hansa-Idol“ (Norbert Littmann) zum absoluten Rekordtorschützen des F.C. Hansa hoch. „Das macht mich schon stolz“ sagt Jarohs.

Ruhestand, dritter Teil. In den späten 1980er- Jahren volontiert Rainer Jarohs beim Rundfunk und ist 30 Jahre lang eine Stimme des NDR-Studios in Rostock. Sein Metier ist die tagesaktuelle Berichterstattung, obwohl er beim ersten Bundesligaspiel in der Saison 1991/92 des F.C. Hansa gegen den 1.FC Nürnberg (4:0) für die heilige Instanz der Berichterstattung, der ARD-Fußballkonferenz berichtet. 2021 ist auch dieses Jarohs-Kapitel zu Ende. Also Beine hoch, Ruhestand? „Vier Enkelkinder, ein Grundstück, Lesen, Reisen, Theater – ich habe keine Langeweile“, versichert er. Seine Bindung zu Hansa? „Wir Alten treffen uns noch regelmäßig. Mich freute neulich das 1:0 beim HSV. Ich glaube, dass der Verein beizeiten die Klasse halten könnte. In der Zweiten Liga ist er bestens aufgehoben“, lautet die Jarohs-Analyse. Ruhestand kommt darin nicht vor.