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04.07.2020 10:00 Uhr

Quer mit dem Hintern an der Latte

Jürgen „Dackel“ Heinsch gehört zu den unvergessenen Größen des Rostocker Fußballs. Dem F.C. Hansa ist er seit 67 Jahren verbunden. Eine Nibelungentreue wie sie im Buche steht. In Almanachen sowieso. Eine Geschichtsbeschreibung des F.C. Hansa ohne den nunmehr 80-Jährigen? Undenkbar!

Doch, es war sein Fehler. Am 07. Oktober 1960 in Magdeburg, beim FDGB-Pokalfinale gegen Motor Jena und einer 2:0-Führung durch den damaligen SC Empor, trickste Jenas Klassestürmer Peter Ducke Rostocks Torhüter Heinsch aus. Anschlusstor – und der Anfang vom Ende für die Rostocker, die noch 2:3 verloren. „Ducke war eklig, weil unberechenbar“, erinnerte sich Jürgen Heinsch schmunzelnd vor fünf Jahren. Und mochte Ducke auch Weltklasse verkörpern, „für mich war Achim Streich der beste Stürmer der DDR“, verriet er. Rostocker unter sich halt.

Dabei ist Jürgen Heinsch gebürtiger Lübecker. Die Familie zog dereinst nach Rostock, weil sich eine Holzfabrik in Familienbesitz befand, die der Großvater besaß. Opa hatte darüber hinaus formidable O-Beine, die ihm den Beinamen Dackel einbrachten. Diese Anomalie blieb dem jungen Jürgen offensichtlich erspart, den Spitznamen „Dackel“ hat er gratis. Wasserball, Handball, Fußball – alles, was rund war, eckte bei Jürgen Heinsch interessehalber an. Am Ende blieb der Fußball übrig, weil dem Burschen ein gewichtiges Maß Talent zugebilligt wurde. „Leider nur das, denn den nötigen Ehrgeiz besaß ich nicht“, sagte er. Aber: Mit 17 Jahren trug er das Trikot der Männermannschaft, zwei Jahre später debütierte er in der DDR-Oberliga.

„Das ist mein Lieblingsfoto von Jürgen, weil er da so kernig wirkt“, verriet dessen Ehefrau Edelgard und zeigte eine Postkarte mit einem lässigen Keeper vorne drauf. Frühe 60er- Jahre und Heinsch ist längst in der Auswahlelite der DDR angekommen. Als Torhüter noch hinter dem ASK-Vorwärts-Mann „Spicke“ Spickenagel. „Warum das so war, weiß ich bis heute nicht, denn ich war besser“. Am 4. September 1963, beim 1:1 gegen Bulgarien in Magdeburg, debütierte Heinsch in der Nationalmannschaft und spielt in ihr weitere sechsmal. „Das war stets eine Ehre für mich“. Edelgard kramte eine Spendenbriefmarke (10 Pfennig) mit dem Konterfei ihres Mannes hervor. „Oder hier: die Unterschriften von Helmut Schön und Sepp Herberger, dem Weltmeistertrainer von 1954“. Untrügliche Devotionalien einer hohen Zeit im DDR-Fußball, die die Olympiaauswahl 1964 mit ihren Qualifikationsspielen gegen die BRD, Niederlande und erst recht gegen den hochdotierten „großen Bruder“ UdSSR, und dann natürlich in der Endrunde in Japan (Olympiabronze) maßgeblich prägte. „Japan, das war schon mal eine ganz andere Welt, die sich da uns erschloss“, ist Jürgen Heinsch immer noch beeindruckt.

Das malade Knie! Es zwang den im besten Torhüteralter befindlichen Keeper zum Laufbahnende. „Dabei besaß Jürgen eine unwahrscheinliche Sprungkraft. Quer mit dem Hintern an der Latte“, beschrieb Edelgard. Vorbei nach einer großen Ära bei Empor und später Hansa. Viermal Vizemeister, zweimal Pokalfinalist „mit einer tollen Mannschaft und herausragenden Spielern wie Kleiminger, Seehaus, Pankau – ach, wie sie alle hießen“. Gut, der „Dackel“ hätte auch woanders pirschen können. Doch einmal Hansa, immer Rostock. „Mich zog es hier nicht weg!“ So diente Jürgen Heinsch seinem Verein nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer und Scout, kritischer und wohlmeinender Beobachter. Er hat Spieler, die „Schweden-Connection“, für Hansa entdeckt und Kilometer förmlich „abgefressen“ um Spiele und Spieler zu sehen. Nie war er der Typ, der den Egomanen herausstellt. „Denn das müssen Sie wissen“, bekannte Edelgard, „mein Jürgen ist unglaublich bescheiden. Und mehr Fehler hat er nun wirklich nicht!“